Autorenlesung: Ingo Schulze
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Termine und Programm
Termin: Donnerstag, der 26. November 2009
Uhrzeit: 19 Uhr
Ort: Universitätsbibliothek, Universitätsstr. 150, Etage 1
Begrüßung
- Dr. Erda Lapp, Direktorin der Universitätsbibliothek
- Prof. Dr. Dr. h. c. Paul Gerhard Klussmann, Institut für Deutschlandforschung, RUB
Kontakt
- Dr. Frank Hoffmann, Institut für Deutschlandforschung, Tel. 0234 - 32 27 863
- Gisela Ogasa, Tel. 0234 - 32 27 354
- 1995 Aspekte Literatur Preis
- 1995 Förderpreis des Alfred Döblin Wettbewerbs
- 1995 Ernst-Willner Preis
- 1998 Berliner Literatur Preis
- 1998 Johannes-Bobrowski-Medaille
- 2001 Joseph-Breitbach Preis
- 2006 Peter-Weiss-Preis d. Stadt Bochum
- 2006 Shortlist Deutscher Buchpreis
- 2006 Stipendium der Villa Massimo
- 2007 Preis der Leipziger Buchmesse
- 2007 Thüringer Literaturpreis
Zur Lesung und zu Ingo Schulze
Das Institut für Deutschlandforschung der RUB veranstaltet am 26. November 09 um 19 Uhr in der Universitätsbibliothek eine Lesung mit Ingo Schulze, der 2006 den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum erhielt. Die WAZ veröffentlichte am 7.11.09 ein Interview mit Schulze zum Jahrestag der Deutschen Einheit. Ingo Schulze wird in der Universitätsbibliothek u.a. aus seinem neuesten Roman "Adam und Evelyn" (2008) vortragen.
Ingo Schulze ist einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller. In seiner Generation zählt er zu der kleinen Zahl ausgewiesener Erzähler, die in unterschiedlichen Genres (Roman, Short Story, Erzählung) reüssiert haben und dabei formale Experimente mit einer Freude am Fabulieren wie am Legen falscher Fährten verbindet, was viele Kritiker an die Romantiker erinnert und manchmal auch verzweifeln lässt. Die Urteile zu seinem umfangreichsten und wohl bis heute bedeutendsten Roman - "Neue Leben" (2005) - schwankten daher zwischen Prädikaten wie "bestes Buch zur Wiedervereinigung" (Die Zeit) und "Geniestreich" (Frankfurter Rundschau) einerseits und "Scheitern ... auf hohem Niveau" (Neue Zürcher Zeitung) andererseits, kurz ein Stück Prosa, das ebenso "virtuos" ist wie "überfrachtet" (beides: Frankfurter Allgemeine Zeitung) und uns dabei etliche "sehr unangenehme, aber wahre Dinge" (Süddeutsche Zeitung) sagt.
Über seine literarische Vita hat Ingo Schulze in seiner Leipziger Poetik-Vorlesung aus dem Jahre 2007 manches spannende und humorvolle Detail erzählt, aber er hat dort zugleich auch ganz schnörkellos seine Confession als Autor abgelegt. Und er erweist sich als ein durchaus politischer Kopf:
"Literatur ist dafür da, dass man mit bestimmten Erfahrungen nicht allein bleibt ... Literatur ist nicht dafür gemacht, etwas zu erklären, aber sie darf und sollte für eine gesellschaftliche Selbstverständigung genutzt werden. Denn das Bild, das wir uns von unserer Zeit, von unserem Ort machen, hat Einfluss auf das, was wir wollen, was wir tun. In diesem Sinne halte ich diejenige Literatur für die wirksamste, die unsere Welt am differenziertesten beschreibt."
Und an anderer Stelle heißt es im gleichen Text:
"Mit meinen Geschichten konkurriere ich ja nicht nur um Aufmerksamkeit, sondern auch um das, was im Feuilleton die "Deutungshoheit" genannt wird. Ich möchte, dass auch meine Erfahrungen gehört werden, dass auch sie zählen."
Sein in diesem Sommer erschienener umfangreicher Band mit Essays und kleineren Schriften trägt daher auch den programmatischen Titel "Was wollen wir?". Dem Band sind die Zitate in der folgenden "Bi(bli)ographie entnommen.
von Frank Hoffmann
Bi(bli)ographie / von Frank Hoffmann
1962 am 15. Dezember in Dresden geboren
1981-1983
nach dem Abitur an der Kreuzschule in Dresden 18monatiger Wehrdienst in der NVA in Oranienburg
1983-1988
Studium der Klassischen Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Diplom
"In Jena studierte ich Latein und Altgriechisch, dazu ein bisschen Germanistik und Kunstgeschichte. Ich hatte Glück mit einigen Hochschullehrern, die zu Freunden wurden. In Gesprächen außerhalb der Universität lernte ich vieles von dem, was noch meine heutige Sichtweise prägt. (Vorstellung in der Darmstädter Akademie, S. 18)"
1988-1990 Schauspiel-Dramaturg am Landestheater Altenburg
1990-1992
Tätigkeit als Journalist in Altenburg (u. a. Mitgründer und Mitherausgeber des "Altenburger Wochenblatts")
"Ende 1989 war nichts so langweilig wie das Theater, nichts so interessant wie Fernsehen, Radio, Zeitung. Dass ich zusammen mit Freunden eine Zeitung gründete, geschah aus politischem Sendungsbewusstsein - wir wollten die Demokratisierung begleiten. Zudem glaubte ich, die neue Zeit auf diese Weise besser kennenzulernen, und erwartete, als Journalist viele Geschichten erzählt zu bekommen. Das eigentliche Ereignis jedoch - die eigentliche Geschichte - bestand darin, dass ich Geschäftsmann wurde." (Tausend Geschichten, S. 25)
1993
Gründung des ersten (kostenlosen) Anzeigenblatts in St. Petersburg ("Priwet Peterburg")
"Ich glaube, dass mich St. Petersburg zum Schriftsteller machte. [...] Das Hochgefühl, um nicht zu sagen: die Euphorie dieser Wochen galt weniger den einzelnen Versuchen, sondern vielmehr einem unbekannten Raum, der sich plötzlich vor mir auftat. Ich wurde im Sätzemachen und in St. Petersburg gleichermaßen heimisch." (Tausend Geschichten, S. 28, S. 30)
seit 1993 als freier Schriftsteller in Berlin lebend, verheiratet, zwei Töchter
1995: 33 Augenblicke des Glücks. Aus den abenteuerlichen Aufzeichnungen der Deutschen in Piter
"Ich bin kein Zahlenmystiker, trotzdem erschien mir die 33 erstrebenswert. Mit einigen Klimmzügen schaffte ich es, auf diese Anzahl Geschichten zu kommen. Danach hatte ich das Gefühl, alles Material, allen Odem, alle Lust aufgebraucht zu haben." (Tausend Geschichten, S. 34)
1998: Simple Storys. Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz
"Nachdem ich etwa ein Dutzend Geschichten beisammen hatte, begann ich sie miteinander zu verbinden. Ich fragte: Welche SIE könnte diese weibliche Ich-Erzählerin sein, welcher ER könnte jener männliche Erzähler sein? Ich zeichnete mir Kästchen auf und verband sie miteinander, strich durch, wählte andere Varianten. [...] Statt einer Konstruktion war eine Art Spieleanleitung entstanden, der auch in unterworfen war. [...] Natürlich frage ich mich, warum es mir möglich war, ausgerechnet im Stil der traditionellen amerikanischen Short Story von Ostdeutschland zu erzählen. Eine Erklärung wäre: Mit der Währungsunion am 1. Juli 1990 waren wir praktisch über Nacht in eine letztlich amerikanisch geprägte Kultur getreten." (Tausend Geschichten, S. 42f.)
2000: Von Nasen, Faxen und Ariadnefäden. Zeichnungen und Fax-Briefe. Mit Helmar Penndorf (Neuausgabe nach Privatdruck)
"Jeden Abend schrieb ich [aus St. Petersburg] an meinen Freund Helmar Penndorf [Kunsthistoriker in Altenburg] einen Faxbrief, eine Art Tagebuch. Helmar war bereits so krank, dass wir nicht wussten, ob wir uns wiedersehen würden. Beim Schreiben gab ich mir Mühe: Ich wusste, wie genau er meine Sätze lesen würde, denn ihm hatte ich gestanden, was ich eigentlich werden wollte: Schriftsteller." (Tausend Geschichten, S. 28)
2005: Neue Leben. Die Jugend Enrico Türmers in Briefen und Prosa
"Natürlich ließe sich Türmers Werdegang, wie er ihn selbst darstellt, als eine Entwicklung vom unglücklichen Schriftsteller zum glücklichen Geschäftsmann beschreiben. [...] Doch wer so viele Briefe innerhalb eines halben Jahres verfertigt, kann doch keiner sein, der das Schreiben an den Nagel gehängt hat. Gelingt ihm hier vielleicht das Werk, das zu schreiben er immer vergeblich versucht hat? [...] Folgt man Türmers Abrechnung mit seinem bisherigen Leben, dann ist er jemand, der in der DDR bleiben, leiden und schreiben sollte, um eines Tages als erfolgreicher Schriftsteller und Dissident à la Biermann in den Westen zu gehen. Er ist gegen die DDR, aber um seinen Traum, der des dissidenten Schriftstellers, leben zu können, braucht er die ostwestgeteilte Welt. Was Türmer auszeichnet, ist sein Gespür dafür, dass der unwahrscheinliche, unvorstellbare Mauerfall seinen Traum gegenstandslos macht." (Tausend Geschichten, S. 48f.)
2006 Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum
Aus der Begründung der Jury:
"... für seine literarische Meisterschaft, mit der er in seinen Büchern so-wohl die Wendezeit in Deutschland und Europa als auch die Nachwende-zeit darstellt. Keiner hat wie er mit überlegener sprachlicher Kraft und einem erstaunlichen Reichtum an stilistischen Mitteln, mit besonderer Präzision und herausragendem Einfühlungsvermögen den Prozess der deutschen Einheit in seinen entscheidenden Momenten geschildert."
2007: Handy. Dreizehn Geschichten in alter Manier
"Während ich schrieb, fühlte ich mich am ehesten in der Tradition des Berichts und des mündlichen Erzählens. Viele Geschichten scheinen sich an ein Gegenüber zu wenden - in manchen gibt es sogar eine Art Anrede. Ich suchte nach dem denkbar einfachsten Schreibgestus, als müsste ich mit dem Erzählen wieder von vorn beginnen." (Tausend Geschichten, S. 55)
seit 2007 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste
2008: Adam und Evelyn. Roman
"Die Schöpfung der Arbeit in der Dunkelkammer - damit hatte ich eine Anfangsszene. Die Gradlinigkeit des Erzählens sollte dadurch gebrochen werden, dass die Perspektive von Adam zu Evelyn wechselt, dass sich der Blickwinkel allmählich verschiebt. Die Ich-Form erwies sich schnell als untauglich. [...] Der Übergang von Adam zu Evelyn konnte eigentlich nur durch Dialoge gebildet werden. Die Dialoge jedoch ergaben sich zu meiner eigenen Überraschung mit Notwendigkeit. Das Spannungsfeld zwischen den Figuren war durch Adams Sündenfall und Evelyns Aufbruch nach Ungarn so aufgeladen, dass sie wie von selbst zu reden und zu streiten begannen. 1989 war auch die Zeit des grundsätzlichen Infragestellens aller bisherigen Entscheidungen." (Tausend Geschichten, S. 57f.)
2008: Tausend Geschichten sind nicht genug. Leipziger Poetikvorlesung 2007
2008: Der Herr Augustin. Illustriert von Jutta Penndorf
2009: Was wollen wir? Essays, Reden Skizzen
"Was mich jedoch als Bürger dieses Landes [...] irritiert, ist eine Entwicklung in allen Bereichen unserer Gesellschaft, die uns zunehmend auf solche verantwortungsvollen Chefs angewiesen sein lässt. Die Tendenz zur Refeudalisierung des Kulturbetriebes geht einher mit einer allgemeinen Privatisierung und damit Ökonomisierung aller Lebensbereiche [...]. Mich stört, dass wir dabei sind, das aufzugeben, was in einem langen Prozess erkämpft worden ist: dass der demokratische Staat seine Verantwortung wahrnimmt, nicht nur für die Künste." (Was wollen wir? Dankrede zum Thüringer Literaturpreis 2007, S. 248f.)
Literaturpreise